Weihnachtsgeschichte

Autorin: Nadine Gerber (copyright)
Illustrationen: Petra Gerber (copyright)


Frohe Weihnachten, Lenny

Lennys Fühler, die sonst immer fröhlich gegen den Himmel zeigten, hingen schlaff herunter. 

Er sass in seinem Erdbeerbeet. Alles um ihn herum war weiss und kalt.

Lenny fror. Und er hatte Hunger.

Eigentlich sollte er Winterschlaf halten. Aber ein Vogel hatte in seinem Loch, in das er sich verkrochen hatte, herumgepickt und ihn so aufgeweckt. Und jetzt konnte er nicht wieder einschlafen.

Was für ein Mist. 

Seine Freunde hatte er schon so lange nicht mehr gesehen. Was sie wohl machten?

Matti, der kleine Igel, hielt ebenfalls Winterschlaf.

Eddie, das Eichhörnchen, würde wohl in seiner Höhle hocken und die im Sommer gesammelten Nüsse futtern. Zusammen mit seiner Schwester Mara.

Schildkröte Tobi befand sich wohl in Winterstarre. Für ihn war es bei diesen Temperaturen zu kalt.

Ente Luis dagegen hatte sich ein dickes Winterfederkleid zugelegt und würde fröhlich auf dem Teich schwimmen, wenn dieser nicht gefroren war. Zusammen mit seinen kleinen Geschwistern. Im letzten Frühling hatte Luis Lenny erzählt, wie langweilig es gewesen war, so ganz alleine. Wenigstens hatte er jetzt Gesellschaft. Vielleicht hatte Luis etwas zu Essen für ihn?

Annabelle, der kleine Fisch, schwamm ebenfalls fröhlich im Teich herum und hatte ganz viel Spass mit ihren Fischfreunden. Unten im Teich war das Wasser schön warm, deshalb tauchte sie nicht allzu oft auf. Sie würde bestimmt ihren Freund, Ente Luis, vermissen. 

Vogeldame Greta flog im Winter immer in den warmen Süden.

Mila, die Maus, schlief bestimmt nicht. Sie hatte sich in einer ihrer Höhlen einen Wintervorrat angelegt. Meist würde sie aber weiterhin im Haus der Menschen Käse stibitzen und sich Wettrennen mit dem alten Kater liefern. Hoffentlich ging es ihr gut, überlegte Lenny.

Lilly, der Marienkäfer, schlief mit der ganzen Marienkäferfamilie in einem grossen Steinhaufen hier im Garten. 

 

Und Fatima, die Raupe, hatte sich vor Einbruch des Winters verpuppt. Sie würde im Frühling zu einem wundervollen Schmetterling werden.

Die wenigsten seiner Freunde waren da, um Lenny zu helfen oder nur ein bisschen mit ihm zu plaudern. Die grössten Chancen hatte er wohl bei Luis, der Ente. 

Was war das bloss, da unter ihm, das kalte Weisse, das schmolz, wenn er darüber kroch? Er schleckte daran. Es schmeckte wie Wasser. Da er furchtbar durstig war, schleckte er noch ein bisschen weiter. Er war noch nie im Winter wach gewesen.

 

Das weisse Zeug war ziemlich rutschig. Lenny kam nicht gut voran.

«Lenny? Hallo Lenny? Was machst du denn hier? Warum bist du wach?»

Lenny blickte nach oben. Und seine schlechte Laune verflog sofort.

«Greta!» Seine Freundin, das kleine Rotkehlchen, kam auf ihn zugeflogen. Schon kurz drauf landete Greta direkt neben Lenny.

«Da könnte ich dich auch fragen. Bist du denn nicht an die Wärme geflogen?»

«In diesem Winter nicht», erklärte Greta. «Einige von meiner Familie sind dageblieben. In vielen Gärten gibt es im Unterholz Larven, die wir fressen können. Dort können wir uns auch aufwärmen.»

«Dann hat bestimmt jemand von deiner Familie in meinem Lock herumgepickt und mich geweckt.»

«Oh, du armer Kerl. Deshalb kriechst du hier im Schnee herum?»

«Schnee? Was ist denn Schnee?»

«Das weisse, kalte Zeug, auf dem du sitzt, natürlich», sagte Greta und lachte mit ihrer schönen, klaren Stimme.

«Das ist also Schnee?» Lenny staunte. Er hatte sich das ganz anders vorgestellt. Das war doch nur kaltes Wasser.

«Warte, bis die Sonne scheint», sagte Greta. «Dann glitzert hier alles.»

«Was machst du denn nun hier in meinem Garten?»

«Ich wollte ein bisschen Fressen zusammensuchen für das Festmahl heute Abend.»

«Was ist denn ein Festmahl?»

«Heute ist doch Weihnachten. Da gibt es immer ein grosses Festmahl, ganz viel von unserem Lieblingsessen.», erklärte Greta aufgeregt. 

«Weihnachten?»

«Das ist der Geburtstag von dem Jesuskind, weisst du. Da werden Tannenbäume festlich geschmückt, alles leuchtet. Es gibt Geschenke und wunderbares Essen. Und alle sind fröhlich und lachen. Sie sitzen um den geschmückten Baum und tanzen und singen wundervolle Lieder.»

Das klang ja zauberhaft. Dass Lenny bisher Weihnachten immer verschlafen hatte.

«Ich möchte auch gerne Weihnachten feiern», erklärte Lenny. «Und vor allem möchte ich gerne ein Festmahl essen. Ich habe nämlich grossen Hunger.»

Greta lachte erneut.

«Allerdings sieht es hier nicht sonderlich festlich aus», sagte Lenny betrübt.

Es hingen dicke Wolken am Himmel und der ganze Garten war mit Schnee bedeckt. Alles wirkte trüb und kalt. 

«Dann machen wir deinen Garten eben so richtig weihnachtlich», sagte Greta bestimmt.

«Und wie?», wollte Lenny wissen.

«Haben wir denn eine schöne Tanne, die wir schmücken können?»

«Da vorne, in der Nähe des Teiches, steht eine schöne, grosse Tanne», erklärte Lenny aufgeregt. «Und direkt daneben steht ein toller Schneemann mit einer richtigen Karottennase, den die Kinder gebaut haben.»

«Gut. Jetzt müssen wir noch schauen, wer uns denn helfen könnte.»

«Luis, die Ente sicher. Und Annabelle. Mila auch. Eddie und Mara. Und Tobi und Matti können wir vielleicht aufwecken.» Lenny purzelte fast aus dem Beet, so aufgeregt war er. Er würde Weihnachten feiern. Mit Greta. Und vielen seiner Freunde. Das würde toll werden.

«Wie schmückt man denn so einen Baum?», wollte er wissen.

«Die Menschen hängen glänzende Kugeln an den Baum, Kerzen leuchten und es gibt auch glitzerndes Lametta oder Schokolade. Ich habe es schon ganz oft durch das Fenster gesehen, wenn ich in den Gärten der Menschen ein bisschen Vogelfutter genascht habe.»

«Das haben wir alles nicht.» Lenny wurde schon wieder etwas traurig.

«Aber wir haben so viele andere wunderschöne Dinge, die wir nehmen können.»

«Was denn?»

«Lass dich überraschen, mein lieber Lenny». Greta lächelte. Sie hatte einen Plan.

«Komm, holen wir zuerst unsere Freunde.»

Lenny kroch auf Gretas Rücken. «Aber flieg nicht zu hoch.»

«Keine Sorge. Und wenn du fällst, dann in den weichen Schnee», lachte Greta. 

Zuerst besuchten sie Eddie und Mara in ihrer Höhle. 

«Wir wollen Weihnachten feiern», erklärte Lenny. «Und dazu wollen wir den grossen Tannenbaum am Teich schmücken.»

«Das ist eine tolle Idee», sagten Eddie und Mara zusammen. «Wir können ein paar unserer Eicheln an den Baum hängen, das sieht bestimmt toll aus.»

«Fangt nur damit an», bat Greta die beiden Eichhörnchen. «Wir holen uns unterdessen noch mehr Hilfe.»

Sie flogen weiter zum Loch von Mila, der Maus.

«Mila, Mila», rief Lenny laut. «Komm raus, wir wollen Weihnachten feiern.»

Eine kleine, schwarze Nase lugte aus dem Loch heraus.

«Weihnachten?» 

«Ja, feierst du mit? Wir wollen den grossen Tannenbaum am Teich schmücken.»

«Natürlich mache ich mit. Lenny, das ist eine tolle Idee. Ich hole meine Tannzapfen aus dem Loch, die hänge ich an den Baum.»

«Mach das, Mila», sagte Greta. «Wir holen inzwischen noch mehr Hilfe.»

Lenny und Greta flogen zu dem Teich.

«Luis. Annabelle. Kommt beide her. Wir wollen zusammen Weihnachten feiern.»

«Weihnachten?», fragte kurz darauf Luis die Ente.

«Weihnachten?», tönte es von Annabelle, dem Fisch.

«Ja, wir wollen den grossen Tannenbaum da schmücken. Und zusammen essen und Lieder singen.»

«Was für eine schöne Idee. Ich hole von dem gelben Schilf. Das können wir als Lametta über die Äste hängen», sagte Luis aufgeregt.

«Das ist fantastisch», sagte Greta. «Fangt schon einmal an. Lenny, hilf du deinen Freunden. Ich habe noch eine Idee.» Sie setzte Lenny an dem Teich ab und flog schon wieder davon.

Ein bisschen später kamen Tobi, die Schildkröte und Matti, der Igel, zu dem Teich. Greta hatte die beiden aufwecken können und sie wollten die Weihnachtsfeier auf keinen Fall verpassen. Sie wollten sich um das Essen kümmern.

Es wurde schon dunkel und Lenny fürchtete, sie würden es nicht rechtzeitig schaffen. 

Doch alle Freunde arbeiteten, so schnell sie konnten. Eddie und Mara flitzten den Baum rauf und runter und hängten Eichel und Tannzapfen und Schilf an die Äste, ebenso rote Vogelbeeren und Karotten, die sie im Schuppen gefunden hatten. Oben auf die Spitze setzten sie eine grosse Christrose. Matti und Tobi brachten Blätter und Larven für das Festmahl. Wo sie das wohl alles gefunden hatten?

Wo war denn nur Greta?

Auf einmal sah er viele, viele kleine, leuchtende Punkte am Himmel. Was war denn das Schönes?

«Schaut mal da oben», raunte Lenny seinen Freunden zu.

Die Punkte kamen immer näher. Und mittendrin flog Greta, der Vogel. Greta landete direkt neben Lenny, die leuchtenden Punkte verteilten sich auf dem ganzen Baum.

Oh wie wunderschön das war. Als würden auf der Tanne Kerzen leuchten.

«Das sind meine Freunde, die Glühwürmchen», erklärte Greta stolz. «Sie wollen den Baum beleuchten und dann mit uns feiern.»

«Wir haben bestimmt den tollsten Weihnachtsbaum der ganzen Welt», sagte Lenny.

Da waren sich alle einig.

Die Freunde sassen unter dem Baum und staunten.

Und dann begannen sie zu reden, zu lachen, zu essen. Sie hatten sich so viel zu erzählen, so lange hatten sie sich nicht mehr gesehen. Lenny bedauerte nur, dass Fatima und Lilly nicht dabei sein konnten. 

Und nach dem Essen begann Greta, die wunderschönsten Lieder zu singen. Immer mehr Vögel kamen dazu, setzten sich auf den Baum und stimmten in Gretas Melodien mit ein. Und dann fielen plötzlich wunderschöne, dicke Schneeflocken vom Himmel. Es war einfach zauberhaft.

Lenny war satt und er fühlte sich wohl im Kreise seiner Freunde. Morgen, ja morgen würde er wieder schlafen gehen. Aber heute würde er feiern, bis er nicht mehr konnte.

Er hätte die ganze Welt umarmen können, so glücklich war er.

Er blickte zu dem leuchtenden Tannenbaum und in die ebenso leuchtenden Gesichter seiner Freunde. 

«Das machen wir jetzt jedes Jahr», flüsterte Mila, die Maus.

«Jedes Jahr», sagte Luis, die Ente.

«Versprochen», sagte Lenny. «Und jetzt tanzen wir, bis die Sonne aufgeht.»